Porträtaufnahme eines älteren Mannes mit grauem Haar. Er trägt ein helles kariertes Hemd und ein graues Sakko. Der Hintergrund ist neutral gehalten.
Rechtsanwalt Dr. Peter Bleutge
  • 26.09.2025

Expertenmeinung: Berufsbild Bausachverständige – welche Herausforderungen bietet die Zukunft?

Im Gespräch: Rechtsanwalt Dr. Peter Bleutge, Beirat der Fachzeitschrift »Bausachverständige«, Wachtberg

BauSV: Herr Dr. Bleutge, unsere Fachzeitschrift Bausachverständige feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Sie haben sich weit mehr als 20 Jahre in verschiedenen Funktionen den Rechtsfragen zur Bausachverständigentätigkeit gewidmet. Unserer Redaktion haben Sie ebenso lang als Beirat zur Seite gestanden. Wenn Sie die letzten 20 Jahre Revue passieren lassen: Was war(en) in den vergangenen 20 Jahren die größte(n) Herausforderung(en) für Bausachverständige?

Bleutge: Zunächst darf ich darauf hinweisen, dass es den Bausachverständigen bzw. die Bausachverständige fachlich betrachtet nicht gibt. 70 Sachgebiete, die alle von dem Oberbegriff abgedeckt sind (siehe Aufzählung von Dilanas [Praxishandbuch Sachverständigenrecht 6. Aufl. 2021, § 46 Rz. 16] fallen alle unter den Oberbegriff Bausachverständige. Der Gesetzgeber reduziert diese Vielzahl von Sachgebieten auf sechs Sachgebiete (§ 9 JVEG, Anlage 1 zu § 9 ) unter dem Oberbegriff Bauwesen, wobei der Bausachverständige sogar den Rechtsbegriff des Bauvertragswesens gutachterlich ausfüllen darf. Will man also etwas zu Problemen des Bausachverständigen aussagen oder wissen, muss man alle Sachverständigenbereiche berücksichtigen; so gelten beispielsweise Gesetze und Satzungsrecht zur öffentlichen Bestellung und Vereidigung für alle Sachverständigen in gleicher Weise.

Große Herausforderungen gab es in den letzten 20 Jahren nicht. Hervorzuheben ist jedoch die schleichende Zunahme der Verrechtlichung in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur. Beispielsweise kommt der vom Gericht beauftragte Sachverständige bei der Anwendung des JVEG und der ZPO ohne Inanspruchnahme eines Juristen kaum mehr aus, will er nicht finanzielle Nachteile erleiden. JVEG-Kommentare mit 600 Seiten sind die Regel. Wie soll sich ein Sachverständiger da noch zurechtfinden? Reduzierung des aufgeblähten Gesetzesrahmens für Sachverständige sollte angestrebt werden.

 

BauSV: Wenn wir einen Blick in die »Glaskugel« und auf die Zukunft werfen: Was werden Ihrer Meinung nach die wesentlichen Herausforderungen für Bausachverständige in den nächsten 20 Jahren sein?

Bleutge: Die Entwicklung der Sachverständigentätigkeit in den nächsten 20 Jahren vermag ich nicht abzuschätzen. Entbürokratisierung, Deregulierung, Digitalisierung und KI sind angesagt und teilweise bereits in Sichtweite.

Wichtig und zukunftsgestaltend wären nach meinen beruflichen Erfahrungen die Beseitigung von Überregulierung, Fehlern und Mängeln aus der Vergangenheit sowie Aufklärungsstätigkeit, wie in Deutschland das Sachverständigenwesen organisiert ist. Letzteres wurde in der Vergangenheit von den Bestellungskörperschaften und Berufsverbänden zu wenig herausgestellt. Der große Markt der Nachfrageseite müsste immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Gutachtertätigkeit von jedem Freiberufler oder Gewerbetreibenden angeboten und durchgeführt werden kann, und dass es dafür kein spezielles Berufsgesetz oder gesetzlichen Qualitätsnachweis gibt, sondern dass Aufträge nur nach einer eigenen Qualitätsprüfung am Gutachtenmarkt vergeben werden sollten und dass die öffentliche Bestellung ein solches gesetzliches Qualitätsmerkmal ist.

Zusammenfassend kann man sagen: Schaffung von Transparenz im Sachverständigenmarkt und von uneingeschränkten Wettbewerbsmöglichkeiten für öffentlich bestellte Sachverständige. Es kann doch nicht sein, dass öffentlich bestellte Sachverständige bei ihrer sonstigen beruflichen Tätigkeit nicht zusätzlich auf ihre Gutachtentätigkeit hinweisen dürfen.

All das und noch mehr empfehle ich, der sich beruflich 60 Jahre lang mit dem Sachverständigenwesen beschäftigt hat, zwecks Verbesserung, Deregulierung und Übersichtlichkeit des gesamten Sachverständigenrechts. Leider wurden meine zahlreichen Novellierungsvorschläge in der Vergangenheit vom Gesetzgeber nicht realisiert, sondern eher verkompliziert.

 

BauSV: Zurzeit revolutioniert künstliche Intelligenz (KI) alle möglichen Formen von Anwendungen. Auch wenn diese Technologie noch ganz am Anfang steht, wurden bereits rasante und erstaunliche Fortschritte erzielt. Künstliche Intelligenz kann insbesondere bei der Recherche die Arbeit deutlich erleichtern. Frau Professor Dauner-Lieb gab jedoch auf dem letzten Baugerichtstag den warnenden Hinweis: »Künstliche Intelligenz wird für Bürojobs das sein, was die industrielle Revolution für das Handwerk war«. Bausachverständige sind bekanntlich Geistwerker und keine Handwerker. Müssen sich Bausachverständige nun Sorgen machen, dass ihre Expertise bei der Gutachtenerstellung künftig nicht mehr gefragt ist und durch künstliche Intelligenz ersetzt wird? Besteht hierzu ggf. ein rechtlicher Regelungsbedarf?

Bleutge: Es ist durchaus möglich, dass künftig Gutachten mithilfe von KI erstattet werden und sich die Tätigkeit der Sachverständigen auf die positive Beurteilung der KI-Begründung beschränkt. Das gilt dann auch für die Urteilsbegründung der Gerichte. Wichtig ist, dass hierbei immer transparent gemacht wird, wo und in welchem Umfang KI eingesetzt wurde und Sachverständige nicht blind Ergebnisse der KI übernehmen.

 

BauSV: Die Bestellungskörperschaften haben bekanntlich Schwierigkeiten, geeigneten Nachwuchs für die Tätigkeit als Bausachverständige zu gewinnen. Was müsste man ihrer Meinung nach – ggf. auch am Bestellungsverfahren – ändern, damit sich mehr Bauingenieure und Architekten vorstellen können, als Bausachverständige für Gerichte und Privatpersonen tätig zu werden?

Bleutge: Nachwuchs für die öffentliche Bestellung kann man nur gewinnen, wenn man Rechte und Pflichten der öffentlich bestellten Sachverständigen rechtlich so gestaltet, dass sich die Gutachtentätigkeit auch finanziell lohnt. Insbesondere dürfen die Hürden für eine Bestellung und die damit verbundenen Pflichtenkataloge nicht übertrieben hoch sein und selbstredend muss auch die Vergütung der Leistung entsprechen und vom Gesetzgeber regelmäßig veränderten wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst werden. Zu bedenken ist auch, dass öffentlich bestellte Sachverständige außergerichtlich im Wettbewerb mit Sachverständigen stehen, die ohne einen gesetzlichen Rahmen für die Erstattung von Gutachten werben und tätig werden können.

Der Gesetzgeber hat für die Sachverständigentätigkeit keinen gesetzlichen Rahmen geschaffen; es gibt kein einschlägiges Berufsgesetz, was bei den Nachfragern weitgehend unbekannt ist. Jeder Freiberufler oder Gewerbetreibende kann sich Sachverständiger nennen und Gutachtenaufträge übernehmen; eine irreführende oder unseriöse Werbung kann deshalb derzeit nur mithilfe des UWG bekämpft werden.

Dagegen unterliegen öffentlich bestellte Sachverständige strengen Werbeverboten. Es ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, dass öffentlich bestellte Sachverständige bei der werblichen Darstellung ihres Berufs nicht zusätzlich oder gleichzeitig auf ihre öffentliche Bestellung hinweisen dürfen; man nennt das Trennungsgebot.

Langer Rede kurzer Sinn: Kammern und Verbände müssen die Öffentlichkeit nachhaltig auf diese unterschiedlichen Sachverhalte aufmerksam machen und gleichzeitig infrage kommende Zielgruppen für die Tätigkeit als öffentlich bestellte / bestellter Sachverständige/r zu gewinnen versuchen.

 

BauSV: Sind gerichtliche Gutachtenaufträge für Bausachverständige so angemessen vergütet, dass man hierüber Anreize für die gutachterliche Tätigkeit und für den Nachwuchs an Sachverständigen gebe kann? Wann und wie regelmäßig müsste man die Vergütung nach JVEG anpassen?

Bleutge: Eine erhebliche Benachteiligung ihrer Vergütung erfahren die vom Gericht beauftragten Sachverständigen bei der Novellierung der Zeitvergütung im JVEG. Meist dauert es über acht Jahre, bis die Stundensätze den veränderten wirtschaftlichen Erfordernissen angepasst werden. In der Regel haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens schon wieder geändert, weil die Vorbereitung der Vergütungsanpassung in der Regel drei Jahre dauert. Bei der letzten Anhebung der Stundensätze zum 01.06.2025 hat es sich der Gesetzgeber einfach gemacht, indem er ohne individuellen Faktencheck einfach alle 39 Sachgebiete um 9% erhöhte. Neue Sachgebiete wurden nicht berücksichtigt, alte wurden ohne bundesweite Prüfung beibehalten.

Mein Vorschlag für die Zukunft: Die Zeitvergütung muss in kürzeren Zeitabständen auf der Grundlage einer Art Indexklausel erhöht werden können, und es darf keine Sachgebietseinteilung geben, weil es weit mehr Sachgebiete als 39 gibt; statt dessen könnte im JVEG der für medizinische Sachverständige geltende Dreiermodus (einfache gutachtliche Beurteilungen; durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad; hoher Schwierigkeitsgrad) eingeführt werden. Nur so erreicht man eine gerechtere und praxisnähere Abrechnung und der aktuelle nicht konkretisierbare Ausdruck »erforderliche Zeit« verschwindet. Übrigens gibt es für die nicht aufgeführten Sachgebiete bereits immer schon eine Vergütung nach billigem Ermessen (§ 9 Abs. 2 S. 1 JVEG).

 

BauSV: Was halten Sie von der Idee, gerichtliche Sachverständige durch eine höhere Vergütung zu belohnen, wenn sie Gutachtenaufträge für das Gericht zügiger abarbeiten, beispielsweise innerhalb von vier Wochen nach Erteilung des Gutachtenauftrags? Oder wäre dies ein Einfallstor für haftungsträchtige »Schlamperei« und Ungenauigkeiten bei der Gutachtenerstellung?

Bleutge: Vom Gericht beauftragte Sachverständige sind bereits verpflichtet, den Gutachtenauftrag zügig zu erledigen; das Gericht soll dem Sachverständigen sogar eine Frist zur Prüfung setzen, ob das Gutachten in sein Fachgebiet fällt (§ 407a Abs. 1 ZPO). Und in der Rechtsprechung gibt es für Übersetzer die Möglichkeit, bei erheblicher Eilbedürftigkeit ein erhöhtes Honorar zu beanspruchen, § 11 Abs. 1 JVEG). Zudem gibt es in § 9 Abs. 6 JVEG eine Erhöhungsmöglichkeit von 20%, wenn die Leistung zwischen 23 und 6 Uhr und an Sonn- und Feiertagen erbracht wird. Mithin könnte der Gesetzgeber auch für alle Fälle der Eilbedürftigkeit eine solche Vergütungserhöhung vorsehen.

 

BauSV: Herr Dr. Bleutge, vielen Dank für das Gespräch.


Kontakt

Dr. Peter Bleutge ist Rechtsanwalt und Co-Redakteur der Zeitschrift »IfS-Informationen«, die seit 47 Jahren vom Institut für Sachverständigenwesen (IfS) in Köln für die Sachverständigen herausgegeben wird. Gleichzeitig ist er Verfasser und Mitautor zahlreicher Kommentare, Bücher, Broschüren und Aufsätze zum Sachverständigenrecht. Seit Gründung des IfS im Jahre 1974 hat Dr. Bleutge zusammen mit Richtern Seminare für die juristische Aus- und Fortbildung von öffentlich bestellten Sachverständigen durchgeführt In Deutschland gibt es ca. 17.000 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige.

Dr. Bleutge war nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg, Frankfurt und Mainz und der Referendarausbildung im OLG-Bezirk Koblenz zwei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der IHK Frankfurt/M, drei Jahre Assistent der juristischen Fakultät der Universität Bochum (mit Promotion) und 31 Jahre Leiter des Referats Zivilrecht, Patentrecht, Handelsvertreterrecht, Produkthaftung, Sachverständigenrecht, Versteigerungsrecht und Strafrecht bei der  Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Bonn.

Anfang 2001 ist Dr. Bleutge aus Altersgründen mit 64 Jahren aus den Diensten der DIHK ausgeschieden. Seitdem ist er weiterhin als Rechtsanwalt, Dozent, Redakteur und Kommentator in allen juristischen Feldern des Sachverständigenrechts tätig; erreicht hat er inzwischen das 88. Lebensjahr.

Rechtsanwalt Dr. Peter Bleutge
E-Mail: p.bleutge@t-online.de

 


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