• 19.05.2021

Rechtsprechungstipp: Vergütung des befangenen Sachverständigen

  1. § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG enthält ein redaktionelles Versehen, wenn dort auf einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus § 407a Abs. 1 bis Abs. 4 Satz 1 ZPO verwiesen wird und sich daraus eine teilweise Überschneidung mit § 8a Abs. 1 JVEG wegen der dort ebenfalls angesprochenen Obliegenheiten aus § 407a Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO ergibt; in der Konsequenz ist die Verwertbarkeit eines von dem abgelehnten Sachverständigen erstellten Gutachtens im Anwendungsbereich des § 8a Abs. 1 JVEG nicht relevant.
  2. Eigene Versäumnisse des Kostenschuldners hinsichtlich der Anzeige einer Vorbefassung des später erfolgreich abgelehnten Sachverständigen sind im Rahmen eines Verfahrens nach § 66 GKG über die Berechtigung des Ansatzes seiner Vergütung nicht zu berücksichtigen, weil § 8a Abs. 1 JVEG allein an die (Nicht)Beachtung von Obliegenheiten durch diesen selbst anknüpft.


Zum Verfahren

Die gerichtsgebührenfreie Entscheidung erging in einem Beschwerdeverfahren. Gegenstand der Beschwerde war der Ansatz der Auslagen für die Vergütung eines im Verlaufe des vorliegenden selbständigen Beweisverfahrens erfolgreich abgelehnten Sachverständigen in der Gerichtskostenrechnung.

Der betreffende Sachverständige war mit der Erstellung eines Gutachtens im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit einer Fußbodenheizungsanlage in dem Objekt einer Wohnungseigentümergemeinschaft (zugleich Antragstellerin) beauftragt worden. Er hat in der Folge neben dem Hauptgutachten drei Ergänzungsgutachten erstellt und seine Feststellungen in zwei Terminen mündlich erläutert. Nachdem in dem letzteren dieser beiden Termine bekannt wurde, dass der Sachverständige einige Jahre zuvor ein Privatgutachten für eine der zur Wohnungseigentümergemeinschaft gehörenden Wohnungseigentümerinnen zu einer identischen Teilfrage erstellt hatte, lehnten ihn die Antragsgegnerin und eine Streithelferin (zu 1) als befangen ab; das Landgericht erklärte das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 19.03.2019 für begründet.

Im weiteren Verlauf hat das Landgericht mit Beschluss vom 26.09.2019 die Vergütung des Sachverständigen festgesetzt und gleichzeitig einen Antrag der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Versagung der Vergütung zurückgewiesen.

Die für den abgelehnten Sachverständigen festgesetzte Vergütung ist der Wohnungseigentümergemeinschaft nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens im Rahmen der Gerichtskosten in Rechnung gestellt worden. Dagegen hat die Wohnungseigentümergemeinschaft Erinnerung eingelegt und geltend gemacht, der Sachverständige habe nach seiner Bestellung unverzüglich darauf hinweisen müssen, dass er mit der Angelegenheit durch eine der Wohnungseigentümerinnen der Antragstellerin bereits befasst gewesen sei. Weil sich die jeweils verfolgten Ziele gedeckt hätten, sei ein Interessenkonflikt für den Sachverständigen von vornherein erkennbar gewesen. Das Gutachten sei infolge der festgestellten Befangenheit insgesamt unverwertbar.

Der Bezirksrevisor hat demgegenüber darauf verwiesen, der Sachverständige sei der Sache unvoreingenommen gegenübergetreten. Die unparteiische Beurteilung des Sachverhaltes werde dadurch bestätigt, dass das dritte Ergänzungsgutachten in Teilen zu Gunsten der Antragsgegnerin und abweichend von dem Privatgutachten ausgefallen sei.

Das Landgericht hat die Erinnerung mit dem hier angefochtenen Beschluss unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Bezirksrevisors zurückgewiesen und der dagegen eingelegten Beschwerde der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht abgeholfen.

Das OLG hat hingegen auf die Beschwerde hin den Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 30.10.2020 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die in der Gerichtskostenrechnung vom 07.07.2020 enthaltene Vergütung für die Tätigkeit des Sachverständigen Dipl.-Ing. … in Höhe von … € wird nicht erhoben.

Diese Entscheidung erging gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen wurden nicht erstattet.


Aus den Gründen

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet; sie ist nicht verpflichtet, Kosten des Gutachtens des erfolgreich abgelehnten Sachverständigen zu erstatten, weil dieser es gemäß § 8a Abs. 1 JVEG in zu vertretender Weise unterlassen hat, der heranziehenden Stelle unverzüglich solche Umstände anzuzeigen, die zu seiner Ablehnung durch einen Beteiligten berechtigten.

  1. Gemäß §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 9005 KV-GKG haben die Parteien als Kostenschuldner eine Sachverständigenvergütung nur dann zu erstatten, wenn sie nach dem JVEG zu zahlen war. Es kommt also nicht darauf an, ob das Gericht Beträge gezahlt hat, sondern darauf, ob es zur Zahlung verpflichtet war. Dies ist im Verfahren über die Erinnerung gegen den Kostenansatz selbständig zu prüfen. Eine gerichtliche Entscheidung über Vergütungsansprüche eines Sachverständigen ergeht immer nur in seinem Verhältnis zur Staatskasse. Die Parteien sind an diesem Festsetzungsverfahren nach § 4 JVEG nicht beteiligt und daher gemäß dem dortigen Abs. 3 auch nicht beschwerdeberechtigt. Dementsprechend hat die gerichtliche Festsetzung der Vergütung gemäß § 4 Abs. 9 JVEG keine Wirkungen zu ihren Lasten, wenn sie als Kostenschuldner herangezogen werden. In dem Festsetzungsverfahren nach § 4 JVEG hat die erfolgreiche Ablehnung im Hauptsacheverfahren keine bindende Wirkung zu Lasten des Sachverständigen, weil der Ablehnungsgrund im Ablehnungsverfahren lediglich glaubhaft gemacht zu werden braucht, während dem Sachverständigen der Entschädigungsanspruch nur genommen werden kann, wenn ein die Erfüllung seiner Gutachtertätigkeit unmöglich machendes Verhalten bewiesen ist, und gemäß § 406 Abs. 5 ZPO ein Beschwerderecht bei für begründet erklärter Ablehnung weder für den Sachverständigen noch für die Parteien besteht; umgekehrt entfaltet das Festsetzungsverfahren nach dem zuvor Gesagten in entsprechender Weise seinerseits keine Bindungswirkung für den Kostenansatz.
  2. Das Landgericht hat für den erfolgreich abgelehnten Sachverständigen in dem Beschluss vom 26.09.2019 zu Unrecht eine Vergütung festgesetzt.
  3. Zutreffend ist das Ablehnungsgesuch gegen den fraglichen Sachverständigen durch das Landgericht für begründet erklärt worden. Eine Tätigkeit des ernannten Sachverständigen schon zuvor im Auftrag einer Partei in derselben Sache bildet einen hinreichenden Grund für seine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit nach §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO.
  4. Gemäß § 8a Abs. 1 JVEG entfiel der Vergütungsanspruch des Sachverständigen in der Folge, weil er es unterlassen hat, der heranziehenden Stelle unverzüglich solche Umstände anzuzeigen, die zu seiner Ablehnung durch einen Beteiligten berechtigten, und er die Unterlassung zu vertreten hatte.
  5. Da in der eingangs genannten Regelung anders als in § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 JVEG eine Reduzierung des Haftungsmaßstabes auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz fehlt, genügt im Hinblick auf die von § 8a Abs. 1 JVEG erfassten „Anfangsfehler“ schon einfache Fahrlässigkeit; aufgrund der damit verbundenen Verschuldensvermutung obliegt es zudem demjenigen, der die Vergütung beansprucht, entlastende Umstände darzutun.
  6. Wenn das Landgericht in seinem Beschluss zur Festsetzung der Vergütung vom 26.09.2019 selbst ausführt, dass der Sachverständige ständig in einer Vielzahl von Verfahren gerichtlich und außergerichtlich tätig ist, hätte es ihm nach den zuvor unter lit. aa) dargestellten Maßstäben gerade vor diesem Hintergrund oblegen, selbst oder durch geeignete informatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass er nicht Aufträge übernahm, in denen er möglicherweise befangen sein könnte. Diese Prüfung unterlassen oder aber nicht sorgfältig genug durchgeführt zu haben, gereicht dem Sachverständigen zum Vorwurf zumindest und für den Verlust seines Vergütungsanspruches ausreichender leichter Fahrlässigkeit. Zu keinem anderen Ergebnis führt der Umstand einer eventuell unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Sachverständigen, ob die vorangegangene Tätigkeit als Privatgutachter (überhaupt) einen Ablehnungsgrund darstellen könne; da es sich dabei mehr oder weniger um einen Musterfall aus diesem Bereich handelt, ist nicht nachvollziehbar, dass dem Sachverständigen trotz der Teilnahme an entsprechenden Fortbildungen nicht zumindest Bedenken gekommen sind bzw. er unabhängig von seiner eigenen Beurteilung nicht jedenfalls vorsorglich das Gericht informiert hat.
  7. Der Vergütungsanspruch blieb im Weiteren auch nicht deshalb (dennoch) bestehen, weil das Landgericht von einer Verwertbarkeit der vor der erfolgreichen Ablehnung geleisteten Gutachtertätigkeit ausging.
  8. Unabhängig davon, ob § 8a Abs. 1 JVEG eine unbeabsichtigte Lücke enthält, weil die Prüfung einer Verwertbarkeit des Gutachtens im Gegensatz zu § 8a Abs. 2 JVEG nicht erwähnt wird, können die Voraussetzungen der Fiktion des dortigen Satzes 2, wonach ein Gutachten als verwertbar gilt, soweit dieses durch das Gericht berücksichtigt worden ist, hier von vornherein nicht festgestellt werden. Denn die gutachterlichen Stellungnahmen wurden nicht von einem Tatrichter berücksichtigt und damit als verwertbar beurteilt, sondern in einem selbständigen Beweisverfahren abgegeben, in dem auch keine - gemäß § 492 Abs. 3 ZPO mögliche - mündliche Erörterung mit dem Ziel einer gütlichen Einigung stattgefunden hat bzw. die Parteien sich sonst gütlich geeinigt haben; vielmehr waren Termine nach §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 3 ZPO allein zum Zwecke der mündlichen Erläuterung der schriftlichen Gutachten anberaumt worden.
  9. Anzumerken ist daneben, dass § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG zwar eine bestimmungsgemäße Verwertbarkeit eines Gutachtens auch bei einem Verstoß eines Sachverständigen gegen die Verpflichtung aus § 407a Abs. 2 JVEG zu einem Kriterium für die Bemessung seiner Vergütung erklärt, wobei die letztere Regelung in Satz 1 und 2 ebenfalls die in § 8a Abs. 1 JVEG angesprochenen Obliegenheit betrifft. Allerdings ist § 407a Abs. 2 ZPO in dieser so in die Prozessordnung eingefügten Fassung mit einer Verschiebung der bisherigen Absätze 2 bis 5 auf eine Bezifferung als Absätze 3 bis 6 erst am 15.10.2016 im Rahmen eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts in Kraft getreten, mit welchem eine (zusätzliche) prozessuale Hinweispflicht der Gutachter geschaffen werden sollte, um ihre Unabhängigkeit und Neutralität zu stärken. Während in diesem Zusammenhang § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG im Hinblick auf einen Verweis nunmehr auf § 407a Abs. 1 bis 4 ZPO statt zuvor auf § 407a Abs. 1 bis 3 JVEG geändert worden ist, ist eine Anpassung (auch) hinsichtlich § 8a Abs. 1 JVEG ausgeblieben. Dies spricht in der Gesamtschau eher dafür, dass es zu einem redaktionellen Versehen im Rahmen von § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG gekommen ist, wenn § 8a Abs. 1 JVEG unverändert geblieben und der Verweis in der erstgenannten Regelung (dennoch) nicht auf § 407a Abs. 1, 3 und 4 ZPO beschränkt worden ist.
  10. Nach all dem können letztlich auch eigene Versäumnisse auf Seiten der Antragstellerin im Hinblick auf die Mitteilung einer Vorbefassung des Sachverständigen ihre Inanspruchnahme für die Erstattung seiner Vergütung nicht rechtfertigen. Zum einen knüpft § 8a Abs. 1 JVEG ausschließlich an die (Nicht)Beachtung von Obliegenheiten durch den Sachverständigen selbst an. Zum anderen muss im Falle eines selbständigen Beweisverfahrens eine Beurteilung der Tragung von Kosten unter Heranziehung von Umständen aus der Sphäre (nur) einer Partei schon deshalb ausscheiden, weil die betreffenden Auslagen grundsätzlich erst Gegenstand des Hauptsacheprozesses sind und eine abschließende Entscheidung - gegebenenfalls im Sinne einer ganz anderen Kostenverteilung - erst dort zu treffen ist. Es kann daher dahinstehen, inwiefern Kenntnisse einer einzelnen Wohnungseigentümerin überhaupt der Wohnungseigentümergemeinschaft zugerechnet werden könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.

OLG Rostock, Beschluss vom 15.02.2021, Az. 4 W 38/20

 


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