
Wer in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufmerksam die Gestaltung von kommunalen Straßen, Wegen und insbesondere Plätzen beobachtet hat, konnte bemerken, dass die Angebotsvielfalt an Belagselementen aus Beton- und Naturwerkstein für Pflasterdecken und Plattenbeläge deutlich zugenommen hat. So wie die Gestaltungsmöglichkeiten durch die Vielfalt an Formaten, Farben und Oberflächenbearbeitungen zugenommen haben, sind zugleich auch die Ansprüche an deren Optik deutlich gestiegen. Damit einhergehend gibt es vermehrt Diskussionen und rechtliche Auseinandersetzungen über optische Abweichungen an den verwendeten Materialien und Belagselementen sowie den daraus erstellten Flächenbelägen.
Über Optisches lässt sich jedoch bekanntlich trefflich streiten und die Frage, ob ein Erscheinungsbild als völlig mangelfrei gelten kann, liegt im wahrsten Sinne des Wortes im »Auge des Betrachters«. Käme man auf die Idee, vertragliche Einzelvereinbarungen, die pauschalisierend eine »absolute Rissfreiheit« oder eine »völlige Gleichmäßigkeit der Farbe« oder Ähnliches fordern, zu vereinbaren, wären diese im Streitfall wenig aussagefähig, da es sich nicht selten um völlig unrealistische und unerfüllbare Anforderungen handelt. Grundsätzlich ist aber das optische Erscheinungsbild (Geltungswert) neben dessen technischer Funktionalität (Gebrauchswert) ein wichtiges Merkmal eines jeden Bauwerks und damit vertraglich geschuldete Leistung.
Die Beurteilung, ob die vorliegende optische Beschaffenheit eines Belagselements oder einer daraus hergestellten Verkehrsfläche der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, ist jedoch unter Umständen äußerst schwierig. Oftmals sind unterschiedliche Einflüsse mit unterschiedlicher Gewichtung zu berücksichtigen, die sich im Allgemeinen nicht wie technisch messbare Eigenschaften, wie zum Beispiel eine Mindestbiegezugfestigkeit oder eine Sollfugenbreite, standardisieren lassen.
Einschlägige Produktnormen oder andere technisch relevante Regelwerke sind für die Beurteilung der optischen Beschaffenheit in der Mehrzahl der Fälle nicht ausreichend, da sie entweder nur das entsprechende Belagselement im unverlegten Zustand selbst, nicht aber das daraus gefertigte Bauwerk berücksichtigen, oder aber nicht in dem erforderlichen Maß auf die baustoffspezifischen Besonderheiten von vorgefertigten Beton- und Natursteinprodukten eingehen.
Für die Beurteilung von optischen Abweichungen gibt es in der Fachliteratur zwar grundlegende Ausarbeitungen, wie beispielsweise die Arbeiten von Oswald und Abel [1]. Diese sind jedoch vorwiegend für die Beurteilung von Gebäuden oder Gebäudeteilen entwickelt worden und daher nicht 1:1 auf Verkehrsflächenbefestigungen übertragbar. Auch verschiedene Modelle von Minderwertberechnungen sind hierfür nicht immer geeignet, da deren Anwendung allein durch die unterschiedliche Anzahl der jeweils zu bewertenden Parameter zu großen Abweichungen zwischen den verschiedenen Berechnungsmodellen führen kann.
Für den Fall, dass in Bezug auf das optische Erscheinungsbild Abweichungen des Istzustands vom Sollzustand beanstandet werden, sollte sich die Beurteilung an der Gewichtung des optischen Erscheinungsbildes einerseits und dem Grad der optischen Abweichung bzw. Beeinträchtigung andererseits orientieren. Nachvollziehbar kommt für diese, zum Teil schwer zu fassende Bewertung der besonderen Sachkunde, der Objektivität und der persönlichen Erfahrung der beurteilenden Person eine besondere Bedeutung zu.
Die beiden in diesem Jahr neu erschienenen Fachbücher, »Leitfaden für die Beurteilung von Flächenbefestigungen mit Betonbauteilen« und »Leitfaden für die Beurteilung von Flächenbefestigungen mit Naturwerkstein«, enthalten erstmals weitreichende Hilfestellungen für eine fachlich korrekte und objektive Einordnung und Bewertung optischer Abweichungen von Flächenbefestigungen aus den jeweiligen Baustoffen.
Sie wurden jeweils von interdisziplinär besetzten Arbeitskreisen, bestehend aus Sachverständigen und Experten mit den Arbeitsschwerpunkten Straßen-, Landschafts- und Gartenbau, relevanten Verbänden sowie von Vertretern aus der Industrie und des Baugewerbes erarbeitet. Hierbei wurden die verschiedenen fachlichen und praktischen Kenntnisse aller beteiligten Berufsgruppen in ausgewogener Weise berücksichtigt, welche an der Bereitstellung der benötigten Baustoffe sowie der Planung, Herstellung und Nutzung von Flächenbefestigungen aus Betonbauteilen und Naturwerkstein beteiligt sind.
Die zahlreichen in den Leitfäden enthaltenen Beispiele sollen einerseits als Informationsquelle allen einschlägigen Baubeteiligten einen Überblick über die vielfältigen Einflussmöglichkeiten geben, die als mögliche Ursachen von optischen Abweichungen von Befestigungselementen und der daraus hergestellten Flächenbefestigungen infrage kommen. Darüber hinaus sollen sie andererseits über die Einordnung von deren jeweiliger Vermeidbarkeit bzw. Unvermeidbarkeit im Rahmen zukünftiger Meinungsverschiedenheiten zwischen den betroffenen Parteien als allgemeine Orientierung für deren fachgerechte Beurteilung dienen.
Der Festlegung des Geltungs- und Gebrauchswerts, die in Summe immer 100 Prozent ergeben müssen, kommt bei der sachlich korrekten und objektiven Bewertung optischer Abweichungen im Streitfall im Hinblick auf die Ermittlung des Minderungsbetrags eine entscheidende Bedeutung zu. So unterschiedlich, wie die verschiedenen Anwendungsbereiche und die damit verbundenen optischen Ansprüche an Pflasterdecken und Plattenbeläge mit Betonbauteilen und Naturwerksteinen sein können, so unterschiedlich kann auch das Verhältnis von deren Geltungs- und Gebrauchswert sein.
In der Tabelle 1 sind für typische Anwendungen von Pflasterdecken und Plattenbelägen mit Betonbauteilen beispielhafte Spannen für deren Geltungs- und Gebrauchswert angegeben. Diese erheben zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit, können jedoch bei der Festlegung des Geltungs- und Gebrauchswerts im konkreten Einzelfall als fundierte Orientierungshilfe herangezogen werden.
In beiden Leitfäden sind angepasste Tabellen mit Prozentangaben für die Einordnung optischer Beeinträchtigungen von Pflasterdecken und Plattenbelägen mit Betonbauteilen (siehe Tabelle 2) bzw. mit Naturwerkstein (siehe Tabelle 3) enthalten, die auf der Grundlage von Oswald und Abel [3] beruhen und von allen Beurteilenden, an die jeweils vorliegende Situation angepasst, Verwendung finden sollen. Dabei ergibt sich eine bestimmte Prozentangabe in einem der drei Bereiche durch Multiplikation des Anteils, der dem Grad der optischen Beeinträchtigung entspricht, mit dem Anteil, welcher der Bedeutung des optischen Erscheinungsbildes (Geltungswerts) der zu beurteilenden Fläche entspricht.
Den ganzen Beitrag können Sie in der Juni-Ausgabe von »Bausachverständige« lesen.
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