BauSV 3/2025


Experteninterview


Heike Böhmer, Katrin Hupfer


Interview: Neues Denken bei der Betonprüfung/Bauwerksuntersuchung

Dipl.-Ing. Heike Böhmer, Geschäftsführende Direktorin des Institut für Bauforschung e.V. Hannover (IFB), im Gespräch mit Dipl.-Ing. Katrin Hupfer, geschäftsführende Gesellschafterin der hupfer ingenieure Bauwerksuntersuchungen GmbH in Hamburg und Vorsitzende der Betonerhaltung Nord e.V.

Dipl.-Ing. Heike Böhmer, Geschäftsführende Direktorin des IFB: Liebe Frau Hupfer, der Verein, dem Sie vorstehen, die Betonerhaltung Nord e.V., steht als Kompetenzzentrum seit der Gründung im Jahr 2010 für Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit in der Betonerhaltung und zeigt mit seinem Slogan »Experten verbinden. Wissen teilen. Qualität sichern.« den Dreiklang zwischen Vernetzung, Kompetenz und Qualität. Wie funktioniert das genau?

Dipl.-Ing. Katrin Hupfer: Die Betonerhaltung Nord ist ein Verein, in dem sich mittlerweile 42 Mitgliedsfirmen – Sachkundige Planer, Sachverständige, Baustofflabore, bauausführende Unternehmen, aber auch Materialhersteller – zusammengefunden haben, die das Thema Betoninstandsetzung und Betonerhaltung voranbringen wollen. Dazu werden jeweils einmal im Quartal Betontreffs veranstaltet, die allen Interessierten offenstehen.

Neben Wissensvermittlung können sie sich hier auf kollegialer Ebene austauschen und netzwerken. Alle zwei Jahre führt der Verband eine Fachtagung durch und in diesem Jahr haben wir zum ersten Mal einen Workshop organisiert. Das Thema war »Digitalisierung in der Betoninstandsetzung«. Mit unseren Veranstaltungen und den dabei gesetzten oftmals wegweisenden und innovativen Themen haben wir als Betonerhaltung Nord mittlerweile eine Aufmerksamkeit erlangt, die weit über Norddeutschland hinausgeht.

 

Böhmer: Wir wissen, Deutschland ist überwiegend gebaut. Nicht nur deshalb spielt das Bauen im Bestand eine wesentliche Rolle. Und obwohl der Umgang mit bestehenden Bauwerken als Säule des ressourcenschonenden Bauens zunehmend an Bedeutung gewinnt, scheuen viele Investoren diesen Bereich. Er gilt als planungsintensiv, kompliziert und teuer – auch bei der Betonerhaltung. Worin sehen Sie die größten Schwierigkeiten, wenn man dieses Bausegment voranbringen will?

Hupfer: Ja, das Bauen im Bestand ist regelmäßig herausfordernder als das Bauen auf der grünen Wiese. Das fängt damit an, dass Sie sich in die Gedankenwelt unserer Vorväter einarbeiten und sich an materialtechnische und konstruktive Gegebenheiten schlicht und ergreifend anpassen müssen. Da sind häufig pfiffige ingenieurtechnische und handwerkliche Lösungen gefragt. Diese kollidieren jedoch regelmäßig mit immer ausladenderen normativen Vorgaben, die günstige pragmatische Lösungen schwierig machen. Hier müssen wir endlich wieder anfangen, kritisch zu hinterfragen und eine Eigenverantwortung sämtlicher Projektbeteiligter nicht nur einzufordern, sondern Kreativität auch wieder zuzulassen.

 

Böhmer: Sehen Sie die Schwierigkeit eher in der Menge der Vorschriften oder durchaus auch in den Inhalten?

Hupfer: In beidem. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind Vorschriften, Normen, Merkblätter etc. hinsichtlich Anzahl und Umfang regelrecht explodiert. Wenn Sie heute versuchen, eine einzelne Information mal eben schnell nachzuschlagen, dann finden Sie nach kurzer Zeit die Schreibtischplatte unter der Anzahl der Dokumente, die über Querverweise miteinander verbunden sind, nicht mehr wieder. Das ist praxisfremd und für uns als Fachleute nicht mehr nachvollziehbar. Überlegen Sie mal, wie viel wertvolle Arbeitszeit dabei verloren geht!

 

Böhmer: Es gibt durchaus auch Stimmen, die die Vorschriften als Basis der anerkannten Regeln der Technik und damit als eine Art »Qualitätsstandard« bewerten. Wo ist das »Zuviel«, wo sind Veränderungen wichtig aus Sicht der Praktiker im Bereich Betonerhaltung?

Hupfer: Natürlich werden sie uns als willkommene Qualitätsstandards präsentiert! Und auch gern ohne viel zu fragen so genutzt. Ist ja auch schön einfach. Doch hinterfragen wir mal, wem diese Qualitätsstandards nützen – immer der Sicherheit des Bauwerks oder nicht doch so manches Mal auch einzelnen Interessengruppen? Wie arbeitet ein Normenausschuss und wer tummelt sich da? Natürlich können Sie sich freiwillig für die Mitarbeit in so einem Ausschuss melden.

Die erste Hürde ist dann allerdings, dass Ihr Unternehmen entweder Mitglied im Deutschen Institut für Normung e.V. (DIN) wird oder sie quasi als Eintrittsgeld mehr als 1.000 Euro zahlen. Die Person, die als Mitglied im Normenausschuss mitarbeitet, muss einen nicht unerheblichen Anteil ihrer Arbeitszeit einsetzen und fehlt im Unternehmen. Bei der angespannten Fachkräftelage können sich kleine Unternehmen wie meins mit fünf Mitarbeitern das schlicht nicht leisten.

Ergo finden Sie in den Ausschüssen überproportional viele Menschen aus zahlungskräftigen Kreisen, die ein Interesse haben, dass ihre Vorstellungen in die Bauvorschriften kommen. Auch der Anteil an Personen, die promoviert haben oder habilitiert sind und aus Wissenschaft oder Verwaltungsorganen kommen, ist nicht zu unterschätzen. Zugleich werden Sie ein Riesenproblem haben, auch nur einen Handwerker im Normenausschuss zu finden, der realistisch einschätzen kann, wie sich so manch hübsch ausgedachte Idee handwerklich überhaupt umsetzen lässt.

Im Übrigen sind wirklich wichtige Dinge, die längst pragmatisch geregelt sein müssten, weiterhin unzureichend geregelt. Ich möchte hier als Stichwort nur das Thema Übereinstimmungsnachweis von Bauprodukten nennen, das bisher aufgrund von gegensätzlichen Interessen einzelner Gruppen noch immer nicht geklärt werden konnte. Aber da ist in den letzten Monaten ja glücklicherweise deutliche Bewegung reingekommen.

 

Böhmer: Aus technischer Sicht gibt es also Verbesserungsbedarf im Sinne von Eigenverantwortung, Kompetenzwertschätzung und »weniger ist mehr«?

Hupfer: Normen sind kein Gesetz! Das sollten wir als Gedanken mal wieder mehr zulassen. Und honorieren, wenn jemand eine pragmatischere Lösung vorschlägt. Das fängt mit respektvollem Zuhören und Aussprechen lassen an. Allerdings ist unser erster Impuls ganz häufig, jeden, der einen vom Normal abweichenden Vorschlag macht, mit dem Hinweis niederzuringen, dass das in der Norm ja anders geregelt ist und somit künftig in einem fiktiven Gerichtsprozess als nicht normkonform und somit schon per se als falsch angekreidet werden könnte!

Der berühmte »Mangel ohne Schaden«, der ja tatsächlich als haftungstechnisches Damoklesschwert über jeder Abweichung von der Vorschrift schwebt, funktioniert so in unserer Vollkasko-Gesellschaft als idealer Bremsklotz. Gleichzeitig klagen aber alle über die superlangen Bauzeiten und explodierenden Baukosten. Dass wir hier in der Vergangenheit mit unserem Regelungswahn irgendwo falsch abgebogen sind, zeigt sich auch deutlich am Beschluss der letzten Bauministerkonferenz im November 2023, die zur Konzentration auf die wirklich notwendigen gesetzlichen Mindeststandards aufforderten und sich dazu verpflichtet haben, bei ihren Bauordnungen auszumisten.

Interessant fand ich übrigens die Reaktionen der Verbände und Institutionen schon im Vorfeld der BMK. Da wurde sich auf das Jammern und Wehklagen über das sogenannte Normen-Moratorium versteift. Dabei ist das doch eine Riesenchance, wie man sie nur selten im Leben erhält! Fünf Jahre, die uns Zeit geben werden, um einmal kurz durchzuatmen und dann kräftig zu entrümpeln! Wie genial ist das denn?!


Das ganze Interview können Sie in der Juni-Ausgabe von »Bausachverständige« lesen.
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