1. Eine Klausel, wonach für den Vertrag die unter einer Internetadresse abrufbaren Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten sollen, kann wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam sein.
2. Das ist der Fall, wenn sie bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung eine dynamische Verweisung darstellt, mit der nicht nur die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter der Internetadresse hinterlegten Vertragsbedingungen in den Vertrag einbezogen werden sollen, sondern auch alle etwaig geänderten Fassungen, die zukünftig vom Verwender unter der Adresse in das Internet eingestellt werden.
BGH, Urteil vom 10.07.2025 – III ZR 59/24
Zum Sachverhalt
Der Kläger KV, ein Verbraucherverband, nimmt das beklagte Unternehmen BU auf Unterlassung in Anspruch. BU versandte per Postwurfsendung an eine Vielzahl von Verbrauchern Schreiben, in denen BU für einen Tarif für einen DSL-Anschluss warb. Diese Schreiben enthielten u.a. im Anschreiben und im vorbereiteten Antragsformular den Hinweis auf die Geltung von AGB des BU, »abrufbar über www. xxxxx«. Mit seiner Klage hat KV von BU Unterlassung der Verwendung u.a. dieser Klausel in mit Verbrauchern zu schließenden Telekommunikationsverträgen sowie Aufwendungsersatz für die erfolglos gebliebene vorgerichtliche Abmahnung begehrt.
Nach einem Teilanerkenntnis des BU hat das OLG der Klage hinsichtlich der Unterlassungsanträge sowie des geltend gemachten Aufwendungsersatzes stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit der vom OLG insoweit beschränkt zugelassenen Revision verfolgt BU seinen Klageabweisungsantrag hinsichtlich der Unterlassung der Verweisungsklausel auf die im Internet verfügbare AGBs im Falle des Vertragsantrags eines potenziellen Kunden weiter. Beim BGH hat BU keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Klauseln, die die Einbeziehung von AGB in einen Vertrag regeln, können jedenfalls dann Gegenstand einer Verbandsklage nach § 1 UKlaG sein, wenn es um die Frage ihrer Unwirksamkeit nach §§ 307 bis 309 BGB geht. Dem Kläger KV steht der gegen den Beklagten BU geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UKlaG zu. Die beanstandete Klausel ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 BGB unwirksam.
Das OLG ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der Klausel um eine von BU verwendete AGB im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB handelt. Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung der Klausel stellt die darin enthaltene Bezugnahme auf die unter der Adresse »www.xxxxxx« abrufbaren AGB eine dynamische Verweisung dar, mit der nicht nur die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter der Internetadresse hinterlegten Vertragsbedingungen des BU in den Vertrag einbezogen werden sollen, sondern auch alle etwaig geänderten Fassungen, die zukünftig von dem BU unter der Adresse in das Internet eingestellt werden.
Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen, da AGB wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen sind. AGB sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind die Vorstellungen und Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist dabei in erster Linie ihr Wortlaut.
Sofern nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, kommt die sich zulasten des Klauselverwenders auswirkende Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Dabei bleiben allerdings Verständnismöglichkeiten unberücksichtigt, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernstlich in Betracht kommen.
Diese Auslegungsregel führt im hier vorliegenden Verbandsprozess – ebenso wie im Individualprozess – dazu, dass bei einer mehrdeutigen Klausel von den in Erwägung zu ziehenden Auslegungen diejenige zugrunde zu legen ist, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt. Denn damit ist die scheinbar »kundenfeindlichste« Auslegung im Ergebnis die dem Kunden günstigste. Die Anwendung der vorstehenden Maßstäbe führt vorliegend zu der Auslegung, dass die Klausel es dem BU ermöglicht, Änderungen seiner Vertragsbedingungen – seien sie noch so umfangreich – allein durch die Einstellung in das Internet in bestehende Verträge einzubeziehen.
Zwar lässt sich die Klausel auch in der Weise verstehen, dass ausschließlich die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter der angegebenen Internetadresse hinterlegte Fassung der Vertragsbedingungen in den Vertrag einbezogen werden soll. Mangels Herstellung des Bezugs zu einer bestimmten Fassung der Vertragsbedingungen ist ein solches Verständnis aber nicht zwingend. Anders als die Übergabe von Allgemeinen Geschäftsbedingungen lässt die bloße Bezugnahme auf eine Internetadresse in dem übersandten Antragsformular für durchschnittliche Vertragspartner des BU nicht zweifelsfrei erkennen, welche Fassung der Vertragsbedingungen des BU – etwa die im Zeitpunkt der Absendung des Antragsformulars, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder eine danach unter der Adresse abrufbare Fassung – in den Vertrag einbezogen werden soll.
In dieser Auslegung hält die Klausel der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB nicht stand. Die Klausel verstößt gegen das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verankerte Transparenzgebot. Danach hat der Verwender von AGB Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und verständlich darzustellen. Dazu gehört auch, dass AGB wirtschaftliche Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Der Verwender muss die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn kein ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum entsteht.
Bei der Bewertung der Transparenz einer Vertragsklausel ist auf die Erkenntnismöglichkeit des durchschnittlichen Vertragspartners abzustellen. Behält sich der Verwender in einer Klausel die Änderung seiner Vertragsbedingungen vor, fordert das Transparenzgebot, dass sich jedenfalls die Reichweite der Änderungsbefugnis aus der Klausel selbst ergibt. Die in der AGB vorbehaltene Rechtsmacht des Verwenders, einzelne Bestimmungen zu ergänzen oder zu ersetzen, bedarf in ihren Gestaltungsmöglichkeiten der Konkretisierung. Der Gegner des Verwenders muss vorhersehen können, in welchen Bereichen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang er mit Änderungen zu rechnen hat.
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Klausel in der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung nicht. Sie lässt jedwede Konkretisierung der Gestaltungsmöglichkeiten des BU vermissen. Vor allem gewährt sie dem BU ein uneingeschränktes Änderungsrecht, das es diesem ermöglicht, die vereinbarten Vertragsbedingungen nach Vertragsschluss zum Nachteil ihrer Vertragspartner abzuändern, ohne hierfür an irgendwelche Voraussetzungen gebunden zu sein.
Für die Vertragspartner des BU ist weder vor noch nach Vertragsschluss vorhersehbar, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang sie mit zusätzlichen Belastungen zu rechnen haben. Durch diese Unklarheit werden sie unangemessen benachteiligt, insbesondere, weil sie bei Vertragsschluss nicht beurteilen können, ob der Vertragsschluss für sie günstig ist.
Anmerkung
Diese Entscheidung ist 1:1 auch auf Bau- und Planerverträge übertragbar. Weist der AGB-Verwender daraufhin hin, dass im Falle des Vertragsschlusses des besagten Bau- bzw. Planervertrages Dokumente Vertragsbestandteil werden sollen, die nur online verfüg- und abrufbar sind, muss er damit rechnen, dass diese AGB nicht gelten. In dem Fall kann der AGB-Verwender im Streitfall einen Anspruch, der sich aus den zu Recht beanstandeten AGB ergibt, gegenüber seinem Vertragspartner nicht durchsetzen.
EMMP
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