BauSV 5/2025


Baurecht


Sascha Scheikholeslami-Sabzewari


Zwischen Hilfsperson und Erkenntnisträger

Die Rolle des gerichtlichen Sachverständigen im zivilgerichtlichen Bauprozess


I. Einleitung: Die wachsende Bedeutung sachverständiger Expertise im Bauprozess

Zivilgerichtliche Verfahren im privaten Baurecht zeichnen sich durch eine hohe technische Komplexität aus. Ob es um die Ursachen baulicher Mängel, die Einhaltung von Ausführungsstandards oder die Klärung von Bauzeitverzögerungen geht – in einer Vielzahl von Verfahren lässt sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt ohne sachverständige Begutachtung kaum ermitteln. Der gerichtliche Sachverständige wird daher regelmäßig zum zentralen Faktor für den Fortgang und die inhaltliche Auflösung eines Bauprozesses.

Prozessual wird die Rolle des Sachverständigen in den §§ 402 ff. ZPO als »Beweismittel« geregelt. Diese Einordnung legt eine formale, funktional beschränkte Rolle nahe. Tatsächlich jedoch prägt die Tätigkeit des gerichtlichen Bausachverständigen den Verfahrensverlauf oft entscheidend – sowohl im Hinblick auf dessen Dauer als auch auf das gerichtliche Verständnis des Sachverhalts. Hinzu kommt, dass § 144 ZPO dem Gericht ausdrücklich erlaubt, auch ohne Parteiantrag eine sachverständige Begutachtung anzuordnen. Bereits dies verweist auf den strukturellen Stellenwert sachverständiger Expertise im zivilgerichtlichen Erkenntnisverfahren.

Der vorliegende Beitrag nimmt dieses Spannungsverhältnis zwischen formeller Einordnung und faktischer Bedeutung zum Anlass, die Rolle des gerichtlichen Bausachverständigen genauer zu beleuchten. Dabei wird sowohl auf die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch auf die praktische Verfahrensgestaltung eingegangen. Ziel ist eine realitätsnahe Einordnung der gerichtlichen Sachverständigentätigkeit im Bauprozess – jenseits abstrakter Dogmatik, aber mit klarem Blick auf deren prozessuale Relevanz und Verantwortung.


II. Rechtliche Rahmenbedingungen und formelle Einordnung

1. Sachverständige als Beweismittel: normativer Ausgangspunkt (§§ 402 bis 414 ZPO)

Aus prozessrechtlicher Sicht werden gerichtliche Sachverständige in den §§ 402 bis 414 ZPO den Beweismitteln zugeordnet. Ihre Aufgabe ist es, dem Gericht auf Anforderung hin Fachwissen zur Verfügung zu stellen, das zur Beurteilung von Tatsachen erforderlich ist, die außerhalb der rechtlichen oder allgemeinen Lebenserfahrung liegen. Damit stehen sie formal auf einer Ebene mit Zeugen, Urkunden oder Augenschein – als Instrumente der gerichtlichen Wahrheitsfindung.

Diese Einordnung als Beweismittel legt eine funktional beschränkte Rolle nahe: Der Sachverständige soll nicht selbst entscheiden, sondern dem Gericht das notwendige Wissen vermitteln, um selbst zu einer rechtlichen Bewertung zu gelangen. Seine Stellung ist dabei grundsätzlich als Hilfsperson des Gerichts gedacht. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass das Gericht ihn auswählt, ihm konkrete Beweisfragen stellt und über die Art sowie den Umfang der Begutachtung entscheidet. Die Parteien haben nur begrenzte Einflussmöglichkeiten auf Inhalt und Form des Gutachtens.

Gleichwohl wird durch diese systematische Einordnung nicht erfasst, wie stark die tatsächliche Bedeutung des Sachverständigen im gerichtlichen Bauprozess sein kann. Anders als etwa bei der Würdigung von Zeugenaussagen folgt die gerichtliche Überzeugungsbildung bei technischen Gutachten häufig weitgehend der fachlichen Einschätzung des Sachverständigen. Dessen Feststellungen prägen damit nicht nur die tatsächliche Entscheidungsgrundlage, sondern auch die rechtliche Subsumtion maßgeblich mit.

In vielen Fällen entscheidet nicht das Gericht »trotz« Gutachten, sondern gerade »aufgrund« des Gutachtens. Diese faktische Bedeutung wirft die Frage auf, ob die bloße Einordnung als Beweismittel der Rolle des Sachverständigen im Bauprozess noch gerecht wird – oder ob es einer differenzierteren Betrachtung bedarf, die seine Erkenntnisfunktion und prozesslenkende Wirkung stärker berücksichtigt.


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