Im Gespräch: Prof. Dipl.-Ing. Matthias Zöller, AIBau, Aachen
BauSV: Herr Professor Zöller, Mitte März des vergangenen Jahres wurden zu Beginn der Corona-Pandemie Messen und Präsenzveranstaltungen zur außerschulischen Fortbildung flächendeckend abgesagt bzw. untersagt. Auch die Aachener Bausachverständigentage 2020 mussten als Präsenzveranstaltung abgesagt werden. Die Corona-Pandemie stellt auch gegenwärtig die Fortbildung der Bausachverständigen vor große Herausforderungen, weil sich an Veranstaltungsverboten für Messen und außerschulische Fortbildungsveranstaltungen bislang noch nichts Wesentliches geändert hat.
Die IHK Bonn/Rhein-Sieg hatte bereits ein Jahr im Vorfeld der Pandemie die Umstellung ihrer Kurse auf ein Online-Format entwickelt und erprobt – dort musste man im März 2020 praktisch nur noch »den Schalter umlegen« und hatte zwar leere Säle, aber trotzdem volle Kurse.
Das AIBau hat seinerzeit aus der Not eine Tugend gemacht. Sie haben letztes Jahr quasi aus dem Nichts eine Tagung als Präsenzveranstaltung in eine hochmoderne digitale Online-Veranstaltung umgeformt. Während sich andere damit begnügen, über Plattformen wie Zoom, GoToMeeting, Skype oder Teams einfach den Vortrag des Referenten mit Bild und Ton (wie es kommt) an die Kursteilnehmer zu übertragen, sind Sie einen anderen Weg gegangen – nämlich durch ein neues professionelles Online-Format mit Live-Streaming in HD-Fernsehstudioqualität.
Daneben gab es eine Mediathek mit allen einzeln aufrufbaren Beiträgen inklusive Diskussionen. Damit haben Sie die Messlatte für die Online-Fortbildung von Bausachverständigen ziemlich hoch gelegt.
Wie haben Sie diesen Kraftakt eigentlich bewältigt? Hatten Sie schon Pläne für diese neue Tagungsvariante in der Schublade?
Zöller: Im letzten Jahr hat es uns kalt erwischt. Wir hatten Ende Februar schon ca. 1.200 Anmeldungen, in normalen Zeiten wäre der Eurogress in Aachen mehr als voll geworden. Dann aber kam alles anders, es hagelte Stornierungen. In anderen Branchen sackten die Anmeldezahlen auf 20% zusammen. So etwa war das dann auch bei uns.
Während im letzten Jahr so ziemlich alle Veranstaltungen abgesagt wurden, wollten wir unbedingt unserer Devise treu bleiben, Termine zu halten. Für uns bestand aber das Problem, dass wir einerseits vertragliche Verpflichtungen für die Durchführung der Veranstaltung hatten, andererseits klar war, dass wir diese nicht nutzen können. Wir hatten Glück, dass die uns verpflichtenden Verträge aufgelöst werden konnten.
Uns war schon im März letzten Jahres klar, dass wir nicht mit einfachen Webinar-Formaten arbeiten können, sondern so viel »Gas geben« mussten, wie es nur ging. Wir haben uns deswegen für die professionelle Studioarbeit entschieden, um den Teilnehmern einen möglichst adäquaten Ersatz für die unmöglich gewordene Präsenzveranstaltung zu bieten, auch wenn eines der wichtigsten Dinge nicht möglich war: das persönliche Treffen.
Aufgrund der noch Anfang April letzten Jahres sehr unklaren Situation blieb uns eine Vorbereitungszeit für die eigentliche Studioarbeit von elf Tagen. Es war also »Spitz auf Knopf«, dass wir einerseits aus den alten Verträgen gekommen sind und uns andererseits noch vorbereiten konnten.
Das AIBau ist weder staatlich finanziert, noch haben wir Mitgliedsbeiträge oder industrielle Sponsoren. Die Finanzierung des laufenden Geschäfts wird zu einem großen Teil von den Überschüssen der Tagung gestemmt – und diese waren eingebrochen. Auch wenn uns das letzte Jahr finanziell nicht nur unerhebliche Schwierigkeiten bereitete, hatten wir ein zweites Mal das Glück, dass wir mit immerhin knapp 700 Teilnehmern die Tagung online durchführen konnten.
Und dennoch möchte ich ein Zitat von Professor Axel Rahn aufgreifen, das er Anfang des Monats äußerte: »Bitte sehen Sie nicht schwarz, denn sonst sehen wir aufgrund der fehlenden, aber notwendigen Einnahmen schwarz mit dem Ergebnis, dass Sie schwarz sehen – nämlich nichts.«
Nach diesen sehr ernüchternden Erlebnissen und der sich abzeichnenden Situation haben wir uns bereits Ende letzten Jahres dafür entschieden, die Tagung erneut nicht als Präsenzveranstaltung durchzuführen. Wir hatten also etwas mehr Zeit, neben eventac, dem Team mit dem Fernsehstudio, einen weiteren Partner zu suchen, der uns mit einer Software unterstützen konnte. Wir sind mit converve fündig geworden, haben aber dennoch ca. zwei Monate gebraucht, die Tagungsseite aufzusetzen.
Um Ihre Frage zu beantworten: In der Schublade liegt so etwas nicht, man muss sehr beweglich sein und die Chancen nutzen, die sich ergeben.
BauSV: In diesem Jahr werden die Aachener Bausachverständigentage am 19. und 20. April 2021 mit Teil zwei des Themas »Untersuchen – Instandsetzen – Modernisieren« digital und online fortgesetzt. Dabei gibt es – wer hätte das gedacht? – sogar noch zahlreiche Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr.
Was erwartet die Teilnehmer denn an Neuerungen?
Zöller: Neben der im vergangenen Jahr erstmaligen Mediathek mit Zugriff auf alle Vorträge und Diskussionsbeiträge wird es in diesem Jahr die Möglichkeit geben, sich schon während der Veranstaltung und auch danach an virtuellen Foyertischen sowie in Themenräumen zu treffen. Außerdem wird es auch eine virtuelle Messeseite geben, über die mit Ausstellern Kontakt aufgenommen und diskutiert werden kann.
BauSV: Bitte erläutern Sie uns die Funktion der neuen Foyertische.
Zöller: Die Teilnehmer haben die Möglichkeit, sich virtuell an Foyertischen zu treffen. Insgesamt stehen 50 Foyertische mit je zehn Plätzen zur Verfügung. Darin sind Tische thematisch benannt, um Teilnehmern mit gleichen Interessen, die sich untereinander noch nicht kennen, das Kennenlernen zu erleichtern. Daneben gibt es unbenannte Foyertische, an denen man sich verabreden oder die man von vornherein als Gruppe mit bis zu zehn Personen belegen kann. Für Letztere besteht so die Möglichkeit, gemeinsam der Tagung zu folgen oder ab Mittwochabend die Mediathek zu nutzen und zu diskutieren.
In den Räumen können sich die Teilnehmer mittels Webcam und Mikrofon unterhalten, so, wie sie das in den Tagungspausen der Präsenzveranstaltungen gewohnt sind. Es gibt eine Chat-Funktion, die entweder alle im Raum erreicht oder mit der Nachrichten privat an einzelne gerichtet werden können. Im Prinzip bieten diese Räume die wesentlichen Funktionen, die man auch in Microsoft Teams oder Zoom findet. Es besteht sogar die Möglichkeit, Dokumente hochzuladen, in die Runde zu stellen und darüber zu diskutieren.
Für IfS-Teilnehmer haben wir Räume für je bis zu 30 Teilnehmer eingerichtet. Wir können weitere private Besprechungs- oder Begegnungsräume einrichten, wenn uns Gruppen darauf ansprechen.
BauSV: Was ist das Besondere an den neuen Themenräumen?
Zöller: Die Themenräume stehen am jeweiligen Livetag für ca. zwei Stunden zur Verfügung. In diesen können die Teilnehmer mit den Referenten des jeweiligen Tages sprechen, also am Montag mit den Referenten des ersten Tages und am zweiten Tag mit den Referenten von Dienstag. Für »Pro + Kontra« sowie die Dialogvorträge gibt es jeweils gemeinsame Themenräume.
Das alles ist in einem kurzen Erläuterungsvideo zur Tagung auf YouTube zu finden.
BauSV: Sie haben eine virtuelle Messeseite angesprochen. Was erwartet die Teilnehmer denn in der Online-Ausstellung?
Zöller: Die Tagung wird von einer virtuellen Messe begleitet. Über die Messeseite sind die Ausstellungen zu erreichen, die z.B. von Sachverständigenausstattern, Verlagen, Softwareanbietern oder Spezialsachverständigen selbst gestaltet werden, zum Beispiel durch Filme, Leseproben, PDFs und dergleichen.
Leider haben manche Aussteller zu bisherigen Messen, die webbasierte Tagungen begleiteten, von weniger guten Erfahrungen berichtet. Allerdings gab es bislang webbasierte Tagungen lediglich im unmittelbaren Live-Format und darüber hinaus teilweise mit vielen Parallelvorträgen. Da ist man als Teilnehmer froh, zwischendurch mal eine Pause zu haben und verspürt weniger Lust, sich dann noch mit Ausstellern zu treffen.
Unsere Tagung beschränkt sich aber nicht nur auf die beiden Livetage, sondern erstreckt sich bis zum 1. Mai 2021, sodass auch nach den Livetagen entweder parallel zur Mediathek die Ausstellungen besucht oder gezielt Termine vereinbart werden können. Da die Aussteller ein spezielles Programm für unsere Teilnehmer anbieten, können sich diese sehr exklusiv und in aller Ruhe über einen Gesamtzeitraum von zwei Wochen mit den Ausstellern in den virtuellen Räumen treffen sowie Neuigkeiten diskutieren.
BauSV: Wie sieht die Zukunft der Sachverständigenfortbildung aus? Sind wir schon dort angekommen? Was wird 2022 bringen? Werden Sie das digitale Format beibehalten? Wird es zurückgehen zur reinen Präsenzveranstaltung? Oder wollen Sie beides miteinander verbinden und die digitalen Möglichkeiten zukünftig zusätzlich zu einer Präsenzveranstaltung anbieten?
Zöller: Tja, im letzten Jahr hatte niemand geglaubt, dass wir in diesem Jahr eine annähernd unveränderte Situation haben. Man will gar nicht daran denken, dass möglicherweise Mutationen des Virus unter dem Radar der Impfungen durchfliegen und welche Folgen das haben kann. Insofern kommt es dem Blick in die Glaskugel gleich, vorherzusagen, was im nächsten Jahr sein wird. Aber auch hier wollen wir einer anderen unserer Devisen treu bleiben: dass die schlechteste aller Lösungen ist, in den Keller zu gehen und zu weinen.
Ich habe im letzten Jahr sehr viele webbasierte Seminare gehalten und in diesem Jahr schon an webbasierten Tagungen teilgenommen, teilweise als Teilnehmer, teilweise als Mitreferent. Die Resonanzen waren bislang überraschend gut. Im Nachgang einer der Tagungen war das Ergebnis sogar überraschend, dass sich die Teilnehmer dort in Zukunft die Beibehaltung des webbasierten Formats wünschen. Immerhin sparen sie sich die teilweise sehr lange Anreise, die teilweise horrenden Übernachtungskosten sowie die Kosten für die Fahrt.
Dem steht natürlich entgegen, dass sie ihre Kollegen »nicht riechen« können, dass die Partystimmung am Montagabend und in den Pausen fehlt sowie manche die Tagung in Aachen nutzen, ein bisschen Urlaub zu machen.
Insofern sind wir auf die Rückmeldungen der Teilnehmer in diesem Jahr gespannt, wie sie mit unserem Zusatzangebot der Tagungsseite umgehen, ob sie die virtuellen Räume nutzen und wie die Vorteile einer virtuellen Tagung gegenüber denen einer Präsenzveranstaltung abgewogen werden.
Ich sehe ein bisschen das Problem, dass man sich exakt das wünscht, was man gerade nicht hat. Wenn wir zu reinen Präsenzveranstaltungen zurückkehren, bin ich mir sicher, dass man die Vorteile, den Vorträgen besser folgen zu können, sich über Filterfunktionen in den Teilnehmerlisten besser finden zu können und nicht nur auf den Zufall von Wegkreuzungen in den Pausen angewiesen zu sein, sich in größeren virtuellen Räumen treffen zu können, die Mediathek nutzen oder mit den Referenten in den Abendstunden unmittelbar diskutieren zu können, vermissen wird.
Wir werden uns nach dem Votum der Teilnehmenden richten. Wenn das so sein sollte, dass wir beides anbieten, können wir nicht einfach eine Kamera in den Vortragssaal stellen. Wir würden dann das Team des Fernsehstudios in den Vortragssaal nehmen, um die notwendige Qualität sicherzustellen. Da uns aber dann Kosten sowohl für die Studioarbeit und die Tagungsseite als auch für den Veranstaltungsort entstehen, werden wir uns in diesem Fall dazu durchringen müssen, als Basis die webbasierte Version anzubieten und als »Add-on« die Präsenzveranstaltungen.
Andersherum wird es aufgrund des sehr viel höheren Aufwands wohl kaum gehen. Die Doppelveranstaltung hat also nicht nur unerhebliche Konsequenzen, weswegen wir in diesem Jahr ganz besonders auf das Feedback unserer Teilnehmenden angewiesen sind, um die Tagung für die Zukunft gestalten zu können.
BauSV: Hinter diesen doch immensen Neuerungen zur Durchführung von Veranstaltungen kommen die Inhalte der Tagung schon fast etwas kurz. Was erwartet die Teilnehmer?
Zöller: Ja, man vergisst fast, dass wir die Tagung nicht zuletzt wegen der Beiträge veranstalten. Wir sehen darin den Grund des großen Zuspruchs für unsere Tagung. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht, wie wir in diesem Jahr die Nachteile ausgleichen können, die durch den Entfall der Präsenzveranstaltungen stehen. Dennoch haben wir ein Programm, das sich sehen lassen kann.
Wir haben es zwar geplant, ich war aber nach Zugang der Kurzfassungen für die Tagung teilweise selbst positiv überrascht, was wir in diesem Jahr alles Neues hören werden und welche Qualität die Beiträge haben. So war mir z.B. unbekannt, dass es Biozide zur Vermeidung von Algen an Fassaden gibt, die nicht umweltgefährdend sind, oder worin die Unterschiede zwischen Zementestrichen mit Schnellabbindezusätzen und Schnellzementestrichen bestehen, wann sich Ettringit schädigend auswirkt und wann es positive Auswirkung hat oder welche Probleme genau bei der Nutzung unserer alltäglichen Geräte wie Mobilfunkgeräte oder PCs für den Nutzer bestehen.
Ebenso wird vielen nicht bewusst sein, dass es den seit Jahren in der Abdichtungsnorm enthaltenen Lastfall »aufstauendes Sickerwasser« unter geotechnischen sowie hydrogeologischen Aspekten quasi nicht bzw. nur in seltenen Ausnahmen gibt. Auch bin ich gespannt, wohin die schon fast leidige Diskussion um das Flachdachgefälle führt und ob sich diese auf zukünftige Regelwerksanforderungen auswirkt.
Wir sitzen auch schon an der Planung für die nächste Tagung. Es ist aber noch verfrüht, darüber zu sprechen. Nur so viel will ich verraten: Es wird sich wieder lohnen, die Tagung zu besuchen, gleichgültig, in welchem Format.
BauSV: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Zöller.
Kontakt
Prof. Dipl.-Ing. Matthias Zöller
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