• 28.09.2020

Rechtsprechungstipp: Ortstermin zur Beweisaufnahme durch Sachverständige in Zeiten der Corona-Pandemie

Auch in Zeiten der Corona-Pandemie sind Ortstermine zur Beweisaufnahme durch Sachverständige durchzuführen, auch wenn eine Partei nicht mit der Durchführung einverstanden ist. Die Einhaltung der üblichen Infektionsschutzregeln ist durch den Sachverständigen sicherzustellen.


Sachverhalt

Das Gericht hatte in einem selbständigen Beweisverfahren durch Beschluss eine umfangreiche bausachverständige Begutachtung angeordnet. Gegenstand der Beweiserhebung waren Mängel an einem Wohngebäude einer WEG am Gemeinschaftseigentum und auch an einzelnen im Sondereigentum befindlichen Wohnungen. Nachdem das Gericht die Akte an den Sachverständigen versandt hatte, teilte dieser dem Gericht schriftlich mit, dass er die Parteien wegen ihrer Bereitschaft zur Teilnahme an einem Ortstermin trotz der derzeitigen Gefährdungslage durch die Corona-Pandemie angeschrieben hatte. Eine Partei hatte sich wegen möglicher Gefährdung gegen die Durchführung eines Ortstermins ausgesprochen. In diesem Zusammenhang bat der Sachverständige das Gericht um Klärung der Rechtslage und um Weisung, wie in der Sache weiter verfahren werden soll.

Das Gericht wies den Sachverständigen an, einen Ortstermin durchzuführen und hierbei die Einhaltung der allgemeinen Infektionsschutzregeln (Abstandsgebot, Maskenpflicht in geschlossenen Räumen) sicherzustellen.


Aus den Gründen

Das Gericht leitet gemäß § 404a ZPO die Tätigkeit des Sachverständigen und erteilt ihm für die Art und den Umfang seiner Tätigkeit Weisungen.

Danach ist das Gericht verpflichtet, den Sachverständigen über den Umfang seiner Tätigkeit aufzuklären und ihm ausreichende Vorgaben zu machen. Dem Sachverständigen sind Informationen über die Rechtslage zu geben, von der das Prozessgericht ausgeht. Der Richter ist hierbei für die Rechtsfragen zuständig, und der Sachverständige für die Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung eine besondere Sachkunde erforderlich ist.

Hier geht es dem Sachverständigen konkret um die Frage, wie prozessrechtlich mit den Folgen der Corona-Pandemie umzugehen ist. Diese Rechtsfrage ist dem Sachverständigen durch das Gericht zu beantworten.

Die Beweiserhebung hat stattzufinden. Da vorliegend für die sachverständigen Feststellungen zwingend ein Ortstermin erforderlich ist, hat der Sachverständige diesen anzuberaumen.

Das vorliegende selbständige Beweisverfahren ist nicht gemäß § 245 ZPO unterbrochen. Es ist infolge der Corona-Pandemie nie zu einem Stillstand der Rechtspflege gekommen.

Es ist zwar infolge der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen der Monate März und April 2020 zu einer de facto starken Einschränkung der Durchführung gerichtlicher Terminierungen gekommen. Es sind landesweit im Wesentlichen Termine in unaufschiebbaren oder zumindest besonders eiligen Sachen durchgeführt worden.

Mit Beginn des Monats Mai 2020 ist der Justizbetrieb jedoch nahezu normal wieder aufgenommen worden. Auch allgemein sind Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen weitgehend wieder aufgehoben worden.

Die Terminsbestimmung oder auch der vorläufige Verzicht auf die Bestimmung eines Ortstermins hat sich deshalb an dem Maßstab des § 227 ZPO über Gründe für eine Terminsänderung zu orientieren. Ein Termin kann hiernach aufgehoben oder verlegt werden, wenn erhebliche Gründe hierfür vorliegen, die gemäß § 227 Abs. 2 ZPO auf Verlangen glaubhaft zu machen sind.

Solche erheblichen Gründe sind vorliegend nicht ersichtlich. Allein die Furcht einer Partei vor einer Corona-Infektion genügt hierzu nicht.

Der Begriff des erheblichen Grundes lässt für die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles dem gebundenen richterlichen Ermessen einen recht weiten Spielraum. Grundsätzlich sind erhebliche Gründe im Sinne des § 227 ZPO aber nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des prozessrechtlichen Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern.

Maßstab für die Terminverlegung bzw. für das Absehen von einem Termin ist also, ob das rechtliche Gehör (Artikel 103 Abs. 1 GG) mit der Durchführung des Termin verletzt würde, z.B. deshalb, weil einer Partei die Möglichkeit zur Stellungnahme oder zur Teilnahme am Ortstermin faktisch verwehrt bliebe. Dies ist nicht ersichtlich. Es ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn die allgemeinen Regeln des Infektionsschutzes eingehalten werden.

Unter Beachtung dieser Infektionsschutzregeln können die Termine in dem vorliegenden selbstständigen Beweisverfahren durchgeführt werden, auch wenn an ihnen notwendigerweise fünf Personen oder mehr teilnehmen müssen. Es obliegt dem Sachverständigen als dem Durchführenden des Beweisaufnahmetermins, den notwendigen Infektionsschutz durch Anordnung der allgemeinen Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht oder Einhaltung des Abstandsgebots sicherzustellen.

Sofern es seitens einer Partei – etwa weil ein Beteiligter zu einer Risikogruppe gehört – Bedenken gibt, derzeit einen Ortstermin durchzuführen, so ist diese Partei gehalten, für den Eigenschutz zu sorgen. Die Partei kann sich bei dem durchzuführenden Termin vertreten lassen. Eine Aufnahme des tatsächlichen Zustandes des Gebäudes vor Ort zwingt die Partei nicht dazu, selbst bei den sachverständigen Feststellungen vor Ort anwesend zu sein. Zu den gutachterlichen Feststellungen kann die Partei nach Vorliegen des Gutachtens Stellung nehmen.

Die Partei hätte aber auch die Möglichkeit, durch eine eigenschützende FFP-2-Maske für einen recht weitgehenden Schutz vor einer Infektion zu sorgen.

Dabei ist dem Gericht bewusst, dass die obigen theoretischen Ausführungen zum Infektionsschutz auf besondere praktische Schwierigkeiten stoßen werden. Dies gilt im vorliegenden Fall im Besonderen, weil auch in einzelnen Wohnungen konkrete Feststellungen auch in kleinen Räumen wie Bädern zu treffen sein werden, was beispielsweise die Einhaltung der Abstandsregeln erschwert. Das Gericht kann dabei nur an die Parteien appellieren, durch besondere Disziplin einen größtmöglichen Infektionsschutz sicherzustellen.

LG Saarbrücken, Beschluss vom 12.05.2020, Az. 15 OH 61/19 (rechtskräftig)


Die Entscheidung kann im Volltext über den Bürgerservice Rechtsinformation des Saarlandes kostenlos abgerufen werden.

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