Es kommt etwas ins Rutschen!
Der Beitrag befasst sich vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen mit Kern und Bedeutung der anerkannten Regeln der Technik.
Die 50. Aachener Bausachverständigentage haben den Frontalangriff des 9. Deutschen Baugerichtstags auf die gängige Praxis des Umganges mit den anerkannten Regeln der Technik aufgegriffen. Waren es am Anfang nur wenige, so wird die Kritik nun immer lauter und vernehmlicher. So richtig die Kritik ist, so falsch wäre jedoch auch eine Forderung nach einer vollständigen Abschaffung des Instituts der anerkannten Regeln der Technik.
Dabei hat die Kritik im Wesentlichen zwei Stoßrichtungen: Zum einen wird die Frage aufgeworfen, wie sinnhaft immer strengere Vorschriften in Regelwerken sind, die Mindeststandards definieren, die oftmals nicht benötigt werden, in ökologischer Hinsicht deshalb problematisch sind und Bauen unnötig verteuern. Zum anderen geht es um den Umgang der Rechtsprechung mit technischen Regelwerken wie die der DIN-Normen. So soll widerleglich vermutet werden, dass diese Regelwerke die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben.
Diese Vermutungswirkung ist im Zivilrecht auch deshalb von so zentraler und großer Bedeutung, da die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik auch ohne gesetzliche Erwähnung Gegenstand des allgemeinen Mangelbegriffs sein soll.
Die Fragen, die neuerdings mit zunehmendem Nachdruck gestellt werden, spielten in den vergangenen Jahrzehnten keine Rolle. Noch bis vor Kurzem wurde darüber diskutiert, auf welchen Zeitpunkt es bei der Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik ankommt oder was geschieht, wenn sich die anerkannten Regeln der Technik zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Abnahme ändern.
Dass über den Kern und die Bedeutung der anerkannten Regeln der Technik so gut wie nicht gesprochen wurde, ist umso erstaunlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Konstruktion der anerkannten Regeln der Technik und die Implementierung in unser Rechtssystem auf mehr als wackeligen Füßen steht.
1. Die Herleitung
Es entspricht der allgemeinen Auffassung, dass die anerkannten Regeln der Technik vom Unternehmer geschuldet sind. Die dogmatische Herleitung hierfür ist indes weder einheitlich noch bisher befriedigend gelungen.
Für den VOB/B-Vertrag ergibt sich die Einbeziehung der anerkannten Regeln der Technik noch relativ problemlos daraus, dass nach § 13 Abs. 1 VOB/B die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zur Voraussetzung für die Mangelfreiheit der Leistung gemacht wird.
Bei einem BGB-Vertrag bedarf es schon einiger Verrenkungen mehr, um ein vergleichbares Ergebnis zu erzielen. Der Gesetzgeber formuliert jedoch lapidar: »Dass, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die Anerkannten Regeln der Technik einzuhalten sind, ist nicht zweifelhaft.«
Der BGH führt hierzu aus: »Der Besteller kann redlicherweise erwarten, dass das Werk zum Zeitpunkt der Fertigstellung und Abnahme diejenigen Qualitäts- und Komfortstandards erfüllt, die auch vergleichbare andere zeitgleich fertiggestellte und abgenommene Bauwerke erfüllen. Der Unternehmer sichert üblicherweise stillschweigend bei Vertragsschluss die Einhaltung dieser Standards zu.«
Die wohl herrschende Meinung liest den Begriff der anerkannten Regeln der Technik unmittelbar in das Gesetz, namentlich in § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB, hinein. Hier wird argumentiert, dass der Besteller Anspruch auf ein »ordentliches« Werk hat. Die zu erwartende und übliche Beschaffenheit kann danach das Werk nur haben, wenn es den anerkannten Regeln der Technik entspricht.
Entgegen der Behauptung des Gesetzgebers ist die Einbeziehung von anerkannten Regeln der Technik in den Vertrag jedoch nicht unproblematisch. Unzweifelhaft ist lediglich, dass in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht infrage gestellt wurde, dass die anerkannten Regeln der Technik zu beachten sind.
Tatsächlich macht es für die Praxis aber bereits einen Unterschied, ob die anerkannten Regeln der Technik nach der Auffassung der h.M. in der Literatur unmittelbar Gegenstand des Mangelbegriffs sind und damit wohl auch jede konkrete vertragliche Vereinbarung an dem Maßstab der anerkannten Regeln der Technik zu messen wären und damit auch eine grundsätzlich dauerhaft funktionsfähige und zweckentsprechende Leistung mangelhaft sein könnte.
Oder ob sie, wie der VII. Zivilsenat des BGH meint, lediglich als geschuldeter Mindeststandard im Sinne einer Beschaffenheitsvereinbarung zu beachten sind, wenn es an abweichenden vertraglichen Vereinbarungen fehlt. Eine Einheitlichkeit ist in der Baupraxis genauso wenig zu erkennen wie in den Entscheidungen der Instanzgerichte. Aber auch zwischen den unterschiedlichen Senaten des Bundesgerichtshofs und sogar selbst in der Rechtsprechung der einzelnen Zivilsenate finden sich mitunter gravierend unterschiedliche Betrachtungsweisen.
2. Definition
Wer sich dem Themenkreis »Anerkannte Regeln der Technik« über die Definition des Begriffs versucht zu nähern, wird schnell feststellen, dass es nicht so einfach ist, Übereinstimmungen in den unterschiedlichsten Veröffentlichungen zu finden. Der VIII. Zivilsenat des BGH formuliert: »Die allgemeinen anerkannten Regeln der Baukunst stellen die Summe der im Bauwesen anerkannten, wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen dar, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind.«
Kniffka hingegen formuliert: »Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen sowie insbesondere in dem Kreis der für die Anwendung der betroffenen Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Technikern durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.«
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