Aufgabe für Juristen und Sachverständige?
Bauprojekte sind komplex und störanfällig. Deshalb gehört es zu einem guten Projektmanagement, Vorkehrungen zur Streitvermeidung und Streitbeilegung zu treffen. Der Beitrag zeigt auf, welche Möglichkeiten hierfür bestehen und beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, welche Rolle die Sachverständigen hierbei einnehmen können.
1 Ausgangslage: Störfall Bau
Die Abwicklung von großvolumigen Bauverträgen ist besonders störanfällig, weil sich die nicht selten auf lange Zeit durch die Realisierung des Bauprojekts aneinandergebundenen Vertragsparteien zu einem Zeitpunkt auf die Herbeiführung eines bestimmten Bauerfolgs zu einem vertraglich festgelegten Preis verständigen müssen, indem sie selbst bei bestmöglicher Vorbereitung (noch) nicht verlässlich absehen können, welcher Aufwand zur Realisierung dieses Bauziels am Ende tatsächlich erbracht werden muss.
Derartige Unwägbarkeiten resultieren bspw. aus der Beschaffenheit des Baugrunds, Wettergegebenheiten, der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft anderer Baubeteiligter, unklaren, oft hochkomplexen Genehmigungsverfahren sowie sonstigen nicht vorhersehbaren Erschwernissen bei der Bauausführung, denen die Bauschaffenden in der Praxis nahezu täglich begegnen. In rechtlicher und ökonomischer Konsequenz zwingt diese strukturelle Störanfälligkeit schon fast notorisch zu einer Nachsteuerung von Bauverträgen, die regelmäßig umso zeitaufwendiger und kostspieliger wird, je später die aus derartigen Unwägbarkeiten resultierenden Störungen des Planungs- und Bauablaufs offenbar werden.
Zeigt sich bspw. erst während der Bauausführung, dass die bereits hergestellte Stahlbetonkonstruktion den statischen Anforderungen einer zweckentsprechenden Gebäudenutzung nicht genügt, wird die nachträgliche Reparatur teuer. Stellt sich diese Erkenntnis indes bereits während der Planungsphase und vor Beginn der Bauausführung ein, hält sich der monetäre und – vor allem – zeitliche Mehraufwand für die Korrektur (nur) der Planung in Grenzen. Und mehr noch: Jede Störung im Bauablauf wirft die Frage nach Verantwortlichkeiten auf, deren Beantwortung von der gesetzlichen bzw. vertraglichen Risikozuweisung abhängt und solcherart für die Beteiligten abermals mit Risiken belastet ist.
Streit hierüber kostet wiederum Zeit und Geld, insbesondere wenn eine gerichtliche Klärung erforderlich wird. Selbst die am Ende obsiegende Partei kann bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise kein Interesse daran haben, einen solchen Streit mit u.U. hohen Transaktionskosten ausfechten zu müssen, um nachträglich Bauschäden zu beseitigen oder monetären Ausgleich für zusätzlichen Aufwand und/oder irreparable Bauablaufstörungen zu erlangen.
2 Streitvermeidung als ökonomisches Prinzip
Aus alledem lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass die frühzeitige Erkennung und Bewertung von unabänderbaren Risiken ein zentrales Anliegen aller am jeweiligen Bauvorhaben Beteiligten sein muss. Noch wichtiger muss es ihnen allerdings sein, über die bauspezifischen Unwägbarkeiten hinaus keine zusätzlichen Störfaktoren zu schaffen, die durch eine fehlgeleitete Vertragskultur entstehen und bei einer zweckdienlich optimierten Ausgestaltung der projektbezogenen Organisations- und Vertragsstrukturen vermieden würden.
Solche Störfaktoren lassen sich – gerade mit Blick auf in Schieflage geratene Großbauvorhaben – leicht wie folgt identifizieren:
- zu frühe Festlegung unrealistischer, bei öffentlichen Großprojekten oft politisch motivierter Budgets,
- zu frühe Vergabe der Bauleistungen (Stichwort: »baubegleitende Ausführungsplanung«) ohne eine belastbare Evaluierung von Risiken,
- Vergabe von Bau- und Planungsleistungen zu nicht auskömmlichen, zuweilen unter den Selbstkosten und den HOAI-Mindestsätzen liegenden Vertragspreisen,
- als Folge hiervon: spekulative Preisgestaltungen der Unternehmer mit dem Ziel, den unauskömmlichen Vertragspreis über Nachträge »aufzubessern«; dadurch entsteht ein verdeckter, für die Parteien nicht verlässlich kalkulierbarer Wettbewerb jenseits des Wettbewerbs um den Ausgangsvertrag
- unzureichender Informationsaustausch zwischen den Baubeteiligten; keine strukturierte Koordinierung von Planung, Fachplanung und Bauausführung (Stichwort: Schnittstellenbewältigung).
Hinter alledem steht bei näherer Betrachtung eine auf Konfrontation ausgerichtete Vertragskultur des Misstrauens, in der die Vorstellung regiert, wirtschaftlicher Erfolg könne nur auf Kosten anderer Projektbeteiligter generiert werden. So bestimmt Schweigen das Baugeschehen, wo Kommunikation und Aufklärung nötig wären. Entscheidungen werden mit Blick auf monetäre Folgen nicht getroffen. Mitwirkung und Kooperation verkümmern, weil vertraglich vorbereitete Rechtspositionen zementiert werden, statt Eigenverantwortung zu übernehmen und im offenen Diskurs mit dem Vertragspartner nach Lösungen zu suchen.
Darin liegt kein Vorwurf an die Baupraxis. Die Marktteilnehmer verhalten sich vielmehr im Regelfall so, wie es das Gesetz erlaubt und die Usancen der Branche es ihnen nahelegen. Abgesehen davon gibt es zahlreiche Ansätze und Projekte, die eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen des Baugeschehens belegen. Und doch lässt sich nicht leugnen, dass die in Deutschland gebräuchliche Vertragskultur das Auftreten der o.g. Störfaktoren begünstigt und es selbst redlichen und gutwilligen Bauvertragsparteien unnötig erschwert, ökonomische Vernunft walten zu lassen.
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