BauSV 4/2023


Rechtsprechungsreport | Architektenrecht


Eva-Martina Meyer-Postelt


Kellerbauwerk – Standsicherheit – Prüfingenieur


1. Die von einem Prüfingenieur durch den Vertrag mit dem Bauherrn übernommene Aufgabe, die Nachweise für die Standsicherheit zu bescheinigen und die mit den von ihm bescheinigten Unterlagen übereinstimmende Bauausführung zu bescheinigen, ist eine werkvertragliche Leistung.

2. Jede bauliche Anlage muss – auch unter Berücksichtigung der Baugrundverhältnisse – im Ganzen, in ihren einzelnen Teilen und für sich allein standsicher sein.

3. Einem Prüfingenieur muss bei der Prüfung der Planungsunterlagen auffallen, dass die Ausführung eines Kellers in Mauerwerk nicht in der Lage ist, die Schubkraft aus der einseitigen Erddruckbelastung in die Bodenfuge abzuleiten, und darf die Standsicherheit des geplanten Kellers in einem solchen Fall nicht bescheinigen.


OLG Frankfurt, Urteil vom 20.02.2023 – 14 U 202/12


Sachverhalt

Die Kläger verlangen u.a. von der mit der Ausführung eines unterkellerten Einfamilienfertighauses von ihnen beauftragten Werkunternehmerin W und von dem beauftragten Prüfingenieur P als Gesamtschuldnern Schadensersatz in Höhe von über Euro 200.000,–. Der Keller weist zahlreiche Risse auf, die darauf zurückzuführen sind, dass die bergseitige Kelleraußenwand durch Erddruck einer Schub– und Biegebeanspruchung ausgesetzt ist. Die Werkleistung von W ist entsprechend sachverständiger Begutachtung mangelhaft.

Das Kellergeschoss hätte wegen der einseitigen Erddruckbelastung auf der Bergseite – wie ein Stützbauwerk – an den einwirkenden Belastungen ausgerichtet und entsprechend konstruiert werden müssen. Den verformungsfreien Kräftefluss unter Einhaltung und Aufnahme der statischen Anforderungen des vorgesehenen Baustoffes sowie die Ableitung bis in den Baugrund hätte – nach den sachverständigen Feststellungen – nur eine Kellerkonstruktion aus Stahlbeton leisten können. Daher hätte W keine Ausführung des Kellers in Mauerwerk anbieten und ausführen dürfen.

Der Standsicherheitsnachweis für die unmittelbare Erddruckbelastung der bergseitigen Kelleraußenwand und die Nachweise gegen Materialversagen und Gleiten für die gemauert ausgeführte Kellergeschosskonstruktion sind bei der Planung und Ausführung durch W und auch bei der Prüfung durch P nicht beachtet bzw. nicht erkannt worden. Nach einem über 10 Jahre geführten Rechtsstreit durch diverse Instanzen bis zum BGH und dann mit Zurückverweisung durch den BGH an das OLG hat dieses nun der Klage nach Grund und Höhe (teilweise) stattgegeben, und zwar gerade auch gegenüber dem Prüfingenieur P, der zusammen mit der W als Gesamtschuldner verurteilt worden ist.


Aus den Gründen

Der Bundesgerichtshof meint, die von dem zweitbeklagten Prüfingenieur P durch den Vertrag der Parteien übernommene Aufgabe, gemäß §§ 59 Abs. 3 Satz 1 und 2 HBO 2002 die Nachweise für die Standsicherheit zu bescheinigen und nach § 73 Abs. 2 HBO 2002 die mit den von ihm zuvor bescheinigten Unterlagen übereinstimmende Bauausführung zu bescheinigen, sei eine werkvertragliche Leistung im Sinne des Privatrechts. Der Prüfingenieur P habe die bautechnischen Nachweise in Bezug auf die statische Berechnung prüfen und die für die Standsicherheit bedeutsamen Konstruktionsteile stichprobenartig kontrollieren müssen, um statische Mängel zu erkennen, eine statisch fehlerhafte Bauausführung zu verhindern und hierdurch drohende Schäden zu verhindern.

Auch wenn der Ingenieur am Maßstab öffentlich-rechtlicher, vorrangig allgemeinschützender Normen zu prüfen und hierüber eine der Bauaufsichtsbehörde vorzulegende Bescheinigung zu erstellen habe, schütze sein Prüfauftrag auch das Interesse des Auftraggebers (Bauherrn) an der Sicherheit seiner selbst und der Hausbewohner sowie das vermögensmäßige Interesse des Bauherrn an einer uneingeschränkten Nutzbarkeit (Schadensfreiheit) des zu errichtenden Bauwerks, da statische Mängel Leib, Leben und Vermögen des Bauherrn erheblich gefährden könnten (§§ 133, 157 BGB). Damit komme eine vertragliche Haftung des Prüfingenieurs P in Betracht.

Nach dieser den Senat – aus den in seinem vorgängigen Urteil ausgeführten Gründen – nicht überzeugenden, aber gemäß § 563 Abs. 2 ZPO bindenden rechtlichen Beurteilung schuldete der beklagte Prüfingenieur P den Klägern als werkvertraglichen Erfolg eine Prüfung, die eine den öffentlichen Bauvorschriften über die Standsicherheit entsprechende Ausführung ihres Bauvorhabens gewährleistet. Diese Werkleistung hat der P mangelhaft erbracht (§ 633 Abs. 2 BGB). Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 der Hessischen Bauordnung vom 18. Juni 2002 (HBO a.F.) muss jede bauliche Anlage, auch unter Berücksichtigung der Baugrundverhältnisse, im Ganzen, in ihren einzelnen Teilen und für sich allein standsicher sein.

Diesen Anforderungen genügt das von W errichtete Bauwerk nicht. Nach den Feststellungen des Sachverständigen S in seinem schriftlichen Gutachten weist der Keller des Hauses der Kläger zahlreiche Risse auf, die darauf zurückzuführen sind, dass die bergseitige Kelleraußenwand durch Erddruck einer Schub- und Biegebeanspruchung ausgesetzt ist. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, der Standsicherheitsnachweis für die unmittelbare Erddruckbelastung der bergseitigen Kelleraußenwand und die Nachweise gegen Materialversagen und Gleiten für die Kellergeschosskonstruktion seien bei der Planung des Gebäudes (statische Berechnung) und bei Prüfung des P nicht beachtet worden.

Die gesamte statisch-konstruktive Planung des Gebäudes und der Freiflächen sei mangelhaft; sie berücksichtige die Erddruckbelastung der Kelleraußenwände nicht ausreichend: Die 2,31 m hohe Mauerwerkswand mit der nur geringen Auflast aus dem Fertighaus sei nicht hinreichend standsicher. Der beklagte Prüfingenieur hätte bei der Prüfung der Planungsunterlagen feststellen müssen, dass eine Ausführung des Kellers in Mauerwerk nicht in der Lage sei, die Schubkraft aus der einseitigen Erddruckbelastung in die Bodenfuge abzuleiten, und die Standsicherheit des geplanten Kellers nicht bescheinigen dürfen.

Hiernach hat der P den von ihm nach Ansicht des Bundesgerichtshofs werkvertraglich geschuldeten Erfolg – eine die Standsicherheit des von W geplanten Bauwerks gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 HBO a.F. gewährleistende Prüfung der Tragwerksplanung – nicht erbracht, d.h. seine werkvertragliche Verpflichtung im Sinne der §§ 633 Abs. 1 und 2, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB verletzt. Diese Pflichtverletzung hat der P zu vertreten, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn nach den zitierten Ausführungen des Sachverständigen S hätte er die fehlende Standsicherheit des Kellerbauwerks erkennen müssen.

Gemäß §§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB können die Kläger (auch) von dem P den ihnen aufgrund der Pflichtverletzung entstandenen Schaden ersetzt verlangen. Der P hat die Kläger gemäß § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn er seine werkvertragliche Verpflichtung – eine die Einhaltung des § 11 Abs. 1 Satz 1 HBO a.F. gewährleistende Prüfung – ordnungsgemäß erbracht hätte. In diesem Fall hätten sie die Kosten einer den statischen Erfordernissen entsprechenden Planung und Ausführung ihres Bauvorhabens tragen müssen, während Kosten für eine nachträgliche Mängelbeseitigung nicht angefallen wären.


Anmerkung

Der Urteilsbegründung des OLG ist unschwer zu entnehmen, dass das OLG die Beurteilung des BGH zur zivilrechtlichen Haftung des Prüfingenieurs nicht geteilt hat, an diese Beurteilung aber aus prozessualen Gründen gebunden war. Soweit der P auch mit der durch das Landgericht zu seinen Lasten ausgeurteilten Schadenshöhe nicht einverstanden war, weil er diese für überzogen hielt, wurde beim OLG auch über die Schadenshöhe gestritten.

Allerdings haben im Ergebnis auch dazu die Kläger einen weiteren Erfolg verbuchen können. Das Landgericht hatte den P neben der mit der Erstellung des Kellers beauftragten Werkunternehmerin W zum Ersatz von Schadensbeseitigungskosten in Höhe von 114.192,32 Euro verurteilt. Der P hatte diese Forderungshöhe in Abrede gestellt. Da die Einwände des P zur Schadenshöhe vom Landgericht übergangen worden waren, hat der Senat zur Gewährung rechtlichen Gehörs ergänzend Sachverständigenbeweis über die Schadenshöhe erhoben.

Der vom Senat beauftragte Sachverständige D hat auf der Grundlage geotechnischer Untersuchungen und umfangreicher Kostenermittlungen festgestellt, dass sich die Mängelbeseitigungskosten unter Berücksichtigung der Teuerungsrate bis zum Jahr 2023 auf netto 177.000 Euro (brutto 211.500 Euro) belaufen. Die Mehrkosten einer von Anfang an den statischen Erfordernissen entsprechenden Planung und Ausführung des Bauvorhabens, d.h. die tatsächliche Ersparnis der Kläger, hat der Sachverständige D dagegen auf lediglich brutto 14.400 Euro beziffert.

Einen merkantilen Minderwert des Hausgrundstücks der Kläger nach der Mängelbeseitigung hat der Sachverständige verneint. Desgleichen hat der Sachverständige festgestellt, dass das Hausgrundstück durch die Mängelbeseitigung aber auch keine Wertverbesserung erfahren wird. Diesen fachlichen Einschätzungen des Sachverständigen D hat sich der Senat angeschlossen und den Klägern im Ergebnis beziffert 134.513,32 Euro zuerkannt und darüber hinaus festgestellt, dass W und P als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägern weitere Aufwendungen und Schäden zu ersetzen, die über diesen bezifferten Betrag hinausgehen.

EMMP


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